Hyam Maccoby: “Judas Ischariot und der Mythos vom jüdischen Übel.”

 

In der Erzählung des Neuen Testaments vollbringt Judas die böse Tat und verrät Jesus. Die Opferung des göttlichen Meisters ist im Christentum zur Erlösung der Gläubigen notwendig, wird aber gleichzeitig als verpönt abgelehnt. Aus dieser Zwangslage befreit man sich durch die Übertragung der Schuld auf einen Sündenbock. Dass die Evangelisten Judas diese Rolle zuwiesen, ist kein Zufall, denn sein Name ist ein Eponym für das ganze jüdische Volk, welches im Laufe der Geschichte zum “Blitzableiter” seiner christlichen Umgebung wurde, von den mittelalterlichen Pogromen bis hin zum Holocaust.
Soweit es sich historisch rekonstruieren lässt, rehabilitiert Maccoby mit diesem Werk Judas Ischariot, der trotz seiner Loyalität zum historischen Jesus, mit dem er zu einer – wenn auch gescheiterten – Befreiungsmission aufgebrochen war, mit einem entwürdigenden Verräter-Mythos beladen wurde.

Maccoby, Hyam
(1924-2004) war Talmudphilologe, Bibliothekar am Leo Baeck College in London und zuletzt Professor für Judaistik an der Universität Leeds. Er erforschte die Entstehung und historische Dynamik von Christentum und Judentum. Seine zentralen Werke “Der Mythenschmied” und “Der Heilige Henker” wurden auch außerhalb der akademischen Welt bekannt. Sein Theaterstück “Die Disputation” wurde in den USA sehr erfolgreich aufgeführt.